Business Hero Portrait “Carla Peters: Fair Trade neu definiert”

Die Weltdesignerin

magazin, 21.05.2016

von: Karin Henjes

Carla Peters tüftelt in Fair-Trade-Werkstätten Luxusartikel für den westlichen Markt aus und verkauft sie in Design-Tempeln

Mit acht Jahren strickt sie ihren ersten Pullover, mit zehn malt sie ihr Waschbecken rot an und mit zwölf näht sie sich aus einer bunt bestickten Tischdecke ein Blumenkleid. Als sie mit vierzehn einen Hocker für ihren Plattenspieler zimmert, weiß sie bereits, dass sie Designerin werden möchte.

Carla Peters ist zart. Ruhig und aufmerksam sitzt sie in ihrem Atelier in einer umgebauten Werft in Nord-Amsterdam. Sie trägt eine dunkelblaue Kapuzenjacke, einen blauschwarzen Hosenrock und silberschwarzes Haar. Die Leuchten, Kissen, Vasen, Taschen und Tische um sie herum hat sie alle selbst entworfen: alles in Schwarzweiß, genäht, bestickt, geschliffen, gedreht, gebrannt, gegossen, lackiert, gefaltet, poliert. Nur die Vase „Souvenir“ aus Thailand ist richtig bunt. Eine  Amphore, beklebt mit mehr als hundert Porzellantierchen. Sogar rosa Schweinchen sind auf dem Designerstück zu finden, das Heidi Klum neulich in einem Münchner Edelgeschäft kaufte. Im Flugzeug saß Carla Peters‘ Vase dann direkt neben Heidi Klum. Vor den Augen von Klums Twitter-Fans flog sie quer durch die Welt.

Heidi Klum ist nicht die Einzige, die gern mit gutem Gewissen Design konsumiert. Weltweit hat sich eine gewinnträchtige Marktnische für sozial angehauchte Luxusgüter etabliert. Es wird gestaltet und recycelt, was das Zeug hält. Tagelöhner erhalten Designschulungen, Altpapier wird zu Nobelkleidern, Unternehmer werden zu Wohltätern. Carla Peters, Inhaberin der 2008 gegründeten Firma Wonderable, bewegt sich in diesem Markt. Ihre Wohnaccessoires kommen wie viele andere aus Peru, Bolivien, Indien, Thailand, Vietnam und Bangladesch. Sie ist eine, die in die Werkstätten hineingeht. Die sich in lokale Brenn-, Web-, und Lackiertechniken vertieft. Und die es schafft, Tradition in moderne Produkte zu übersetzen. So zeigen es die Videos, die Carla Peters‘ Schwester in den Werkstätten der ganzen Welt von ihr drehte.

In Dhaka, Bangladesch zum Beispiel. Dort gestaltet Carla Peters in Zusammenarbeit mit Artisan Hut edle Taschen aus gewebten Lederstreifen. Das Unternehmen bekennt sich zu den Prinzipien der World Fair Trade Organization (WFTO) und arbeitet mit mehreren Fair Trade-Händlern. In einer Filmszene sitzt Carla Peters in Dhaka neben einer Weberin, klebt förmlich an ihr. Spitzmundig, mit halb geschlossenen Lidern verfolgt sie die schnellen Bewegungen der Arbeiterin. Rechts, links, rechts, links. Langsam entsteht der purpurne Futterstoff. Carla Peters runzelt die Stirn, prüft die Qualität. Schnitt. Sie redet in einem kleinen, engen Büro mit dem Werkstattmanager. Sagt ihm, wie man die Tasche noch besser machen kann. Setzt sich dann wieder zu den Arbeiterinnen. „Carla Peters hat uns empfohlen, ein sehr traditionelles Bambusmatten-Design aus unserer Region in Taschen aus Lederstreifen umzusetzen“, sagt der Chef im Video. „Wir werden unsere Fähigkeiten zusammen mit ihr Schritt für Schritt verbessern und ein hochwertiges Produkt herstellen. Ich hoffe, dass das Fair- Trade-Geschäft dann immer weiter nach oben geht.“

Carla Peters springt auf, eilt in die andere Ecke des Ateliers. Von ihrem zugekruschten Arbeitstisch holt sie vier kleine, nicht einmal handbreite Keramikproben. Sie fühlen sich kühl und hart an, aber auch ein wenig samtig. Schwarzer Ton, darauf blaue und schwarze Punkte, ein Vogelmotiv. Hübsch aber unspektakulär, zumindest auf den ersten Blick. Doch irgendetwas muss dran sein an diesen Tonproben, so, wie sich die Designerin über sie beugt, wie sie die Punkte und Linien streichelt und bis ins Detail die Technik erklärt: das Drehen der Tonvasen, das Bemalen und Polieren mit den Kieseln den Auftrag von Punkten aus Aschebrei, das Brennen mit Mangoblättern, das Abschoppen der Asche am Schluss.

„Was so besonders an dieser Keramik ist, das ist die schwarze Farbe,“ sagt Carla Peters, die nach ihrem Studium an der Design Academy Eindhoven zunächst als Beraterin für Luxusfirmen wie KLM und Rosenthal tätig war. Sie ist ein echter Materialfreak. „Ich glaube, ich kann jedem Stück ansehen, ob es in Nordperu gemacht wurde oder nicht. Nur in dieser einen Stadt werden Sie dieses schimmernde, glänzende Schwarz finden.“ Die Gestalterin war kürzlich erst wieder dort. Sie hat Maria del Carmen de la Fuente in Lima besucht. Die Keramikexpertin managt mehrere  örtliche Werkstätten, ihre Firma Allpa ist Mitglied der WFTO. Die Frauen kennen sich noch aus der Zeit, als Carla Peters für eine niederländische Fair-Trade-Firma arbeitete – ein Job, um den sie sich 1997 voller Neugier, aber auch mit Zweifeln beworben hatte. Die klobigen Fairtrade-Produkte von damals waren ihr fremd. Auf ihren Touren nach Kalkutta, Lima oder Dhaka entdeckte sie dann aber ihre Begeisterung für uralte Handwerkstraditionen. „Das ist das, was ich am allerliebsten tue“, sagt sie und öffnet ihre Arme. „Reisen, unterwegs sein, im persönlichen Austausch mit den Kunsthandwerkern Neues probieren“.

So, wie sie es auch mit der Vase „Souvenir“ getan hat. In einer Fabrik in Thailand entdeckte sie säckeweise unverkaufte Porzellanfigürchen, die ursprünglich für  den westlichen Markt bestimmt waren. Gemeinsam mit dem Familienbetrieb Sang Arun in Lampang entwickelte sie daraus die aberwitzige Vase, die Heidi Klum so gut gefiel. An der Außenseite kleben kitschige Tierchen; innen am Vasenhals steht auf Thai, wer die Vase wann gemacht hat.

Von Lima in Peru reist Carla Peters weiter in die Stadt Chulucanas zu einem Meister der schwarzen Keramik, der mit Allpa arbeitet. Carla Peters kooperiert seit vielen Jahren mit ihm und seinen Kunsthandwerkern. Auch in Chulucanas setzt sich die Gestalterin zu den Arbeitern und beobachtet jeden Handgriff. „Und dann möchte ich wissen, was passiert, wenn man diese Technik abwandelt. Was passiert zum Beispiel, wenn man das Muster nicht so poliert, dass alle Linien exakt voneinander getrennt sind? Nein, sagen sie, das geht nicht, das sieht hässlich aus. Ich möchte aber wissen, wie hässlich sieht es aus. Es sind oft die Fehler, die Weglassungen oder Übertreibungen, durch die man zu Neuem kommt“, sagt Carla Peters, die es als achtes Kind eines Großbauern früh gelernt hat, Menschen anzuleiten.

Sie hat etwas Mädchenhaftes. Doch wenn es sein muss, ist sie knallhart. Ihre Produkte gehen an Luxusgeschäfte wie De Bijenkorf in Amsterdam, La Grange Interiors in Südafrika oder Böhmler im Tal in München. Da kann und will sie sich keine Fehler leisten. Als es im Jahr 2011 wiederholt Probleme mit einer Lieferantin in Kalkutta gab, beendete Carla Peters die Geschäftsbeziehung. „Ich kenne die Unternehmerin seit fünfzehn Jahren, achte sie sehr und treffe mich privat auch noch mit ihr,“ sagt Carla Peters. „Aber es mangelte an Kommunikation. Ich war nicht informiert über Probleme in der Produktion. Ich hatte Kunden versprochen, dass ein Produkt bis zu einem bestimmten Zeitpunkt da ist, und das war es nicht. Was kein  Problem ist, wenn  du sagen kannst, warum, und  wann  es stattdessen kommt, doch das war nicht der Fall. Wir diskutierten das einige Male, das Problem blieb bestehen, und ich kam zu dem Schluss, nein, auf diese Art kann ich nicht arbeiten.“ Jetzt hat sie eine neue Geschäftspartnerin in Indien.

 

Schließlich trägt sie Verantwortung. Ungefähr zwanzig Handwerker in sechs Ländern arbeiten für Wonderable. Das hat Carla Peters einmal ausgerechnet. Zwanzig Menschen, deren Chefs sich zu den zehn Regeln der World Fair Trade Organisation (WFTO, siehe www.wfto.com) bekennen. Die bekunden, dass sie keine Kinderarbeit und keine Niedriglöhne zahlen, dass sie einen transparenten Handel betreiben und ihre Mitarbeiter beruflich fördern.

Mittagspause in der Zamenhofstraat 350, wo  neben Wonderable noch gut achtzig andere Kleinunternehmer ihr Büro haben: Fotografen, Grafikerinnen, Modemenschen und ein Mercedes- Oldtimer-Experte. Die Luft riecht nach Nordsee, wenn Carla Peters das Fenster öffnet, man hört Möwen- und Krähenrufe. Schicke Mittagsrestaurants gibt es nördlich des Amsterdamer Kanals noch kaum. Carla Peters räumt helle und dunkle Brötchen, Humus, Schinken, Tomaten und Rucola auf den Tisch. Gespeist wird ohne viel Gerede auf den recycelten Kunststoffstühlen eines Designerfreundes. Carla Peters bedient sich reichlich mit Rucola und teilt das letzte Brötchen mit dem Gast. Dann geht es wieder an die Arbeit.

Ob Carla Peters das letzte Hemd mit ihren Geschäftspartnern teilen würde? Obwohl sie ihre Hippiegeschwister schon früh auf Anti-Atomdemos begleitete und sich später für Studentenrechte einsetzte, hält sie sich nicht für besonders politisch. „Ich glaube, dafür bin ich zu rational“, sagt sie. Sie geht die Dinge lieber leise an, organisch, sie liebt das Schöne. Und sie hat spätestens in ihrer Zeit als Unternehmensberaterin das Rechnen gelernt. Sie weiß, wie sie eine Vase kalkulieren muss, damit sich deren Vermarktung für alle lohnt, auch für sie selbst.

Heidi Klums Vase „Souvenir“ zum Beispiel kostet 750 Euro. Dass die Verpackung, der Versand und die Handelsspannen einen wesentlichen Teil des Produktpreises ausmachen, legt Carla Peters ohne Umschweife offen. Doch was ist dann eigentlich ihre besondere Leistung, wenn sie die Vase doch auch – wie alle anderen – günstig einkauft, weltweit verschickt und gut daran verdient? Dass sie nicht mit jeder beliebigen Firma arbeiten würde. Dass sie genau nachweist, aus welcher Werkstatt welches Luxusgut kommt. Und dass sie gemeinsam mit Kunsthandwerkern Neues erschafft. Etwas, das in Traditionen wurzelt. Etwas, das Eigenart wahrt. Etwas, das ohne ein internationales Miteinander nicht möglich wäre. Weltdesign.

Mit zwölf näht sie ein Blumenkleid, mit zwanzig liebt sie Kandinsky, mit dreiundzwanzig wird sie Designerin. Als sie mit dreiunddreißig in den Fair Trade geht, ist sie längst Geschäftsfrau geworden. Sie entwickelt sich weiter. Zur Weltdesignerin.

 

Gefäße von Carla Peters, unter anderem die Vase „Souvenir“ aus Thailand mit den kleinen Figuren, die auch bei Heidi Klum Anklang fand. Foto: Wonderable
Die „Golden Noodle“-Leuchten werden nach einer alten, ursprünglich von Nomaden entwickelten Technik aus Bienenwachs, Lehm und Messing in Indien gefertigt. Foto: Wonderable

Über Karin Henjes:

Als Wohnfachredakteurin, Handelsfachautorin und Literaturwissenschaftlerin arbeitet Karin Henjes an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Design und Kultur. Sie liefert hellsichtige Texte zur Zukunft der Konsumgüterbranchen, sinnliche Wohn‐ und Lebensgeschichten, Biographien verantwortungsvoller Wirtschaftsplayer und überraschende Einträge für kurze Internetformate – immer mit dem ganz speziellen Blick der Kulturkritikerin auf Wirtschaft, Mensch und schöne Dinge.